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Fachtag zum Bundes-Teilhabe-Gesetz (2019)

Vom Bewohner zum Mieter

„Es ändert sich viel, aber das ist auch eine große Chance“, brachte es der bayerische Behindertenbeaufragte Holger Kiesel auf den Punkt. Das 2017 eingeführte Bundes-Teilhabe-Gesetz (BTHG) ist nicht weniger als ein Systemwechsel. Eine einschneidende Veränderung erfolgt zu Jahresanfang 2020. Dann wird die persönliche Hilfe für den Menschen mit Behinderung getrennt von der Wohnform. Lebt er in einer Einrichtung, wird er vom Bewohner zum Mieter.

Das führt zu Verunsicherung auf allen Seiten: bei den Menschen mit Behinderung, bei den Angehörigen, in den Einrichtungen und bei deren Trägern. Daher befasste sich ein Fachtag, den die Caritas in den Räumen von Regens Wagner Zell bei Hilpoltstein veranstaltete, mit den Herausforderungen des BTHG. Er richtete sich vor allem an Mitglieder von Bewohnervertretungen, Werkstatträten und Angehörigen- und Betreuerbeiräten.

„Nicht über uns ohne uns“ war die Veranstaltung überschrieben. Und der Eichstätter Diözesan-Caritasdirektor Alfred Frank bekannte in seinem Grußwort an die Teilnehmenden: „Wir, Menschen ohne Behinderung, planen viel zu oft ohne Sie.“ Daher sollte der Fachtag Gelegenheit geben, gemeinsame Lösungen zu finden. „Wir haben die Hoffnung, dass sich immer mehr Betroffene auf den Weg machen, die eigene Zukunft zu gestalten.“

Selbstbestimmung oft nicht realisiert

Doch dies ist gar nicht so einfach. In einem der Workshops trugen Menschen mit Behinderung zusammen, was für sie Selbstbestimmung bedeutet: eine eigene Wohnung; die Arbeit ausüben, die mir Freude macht; entscheiden, mit wem ich meine Freizeit verbringe; seine Ruhe haben; gehen und kommen, wann ich will; einkaufen; bestimmen, was es zum Essen gibt. Für Betroffene, die in einer Einrichtung leben, sieht die Realität oft anders aus: Da bestimmen die Mitarbeiter oder die Alltagsroutine oder man muss sich zumindest in der Gemeinschaft auf Kompromisse verständigen.

Das BTHG will das Selbstbestimmungsrecht von Menschen mit Behinderung stärken. Das machten Michael Groß und Michael Schubert von der Caritas Nürnberger Land in ihrer Präsentation deutlich. Daher ist in Zukunft die persönliche Hilfe unabhängig von der Wohnform. Die Betroffenen sollen mitentscheiden, wie sie wohnen wollen: allein, in einer Wohngemeinschaft oder in einer Einrichtung. „Niemand soll in einer Wohnform leben, die er nicht will“, brachten es die Referenten auf den Punkt. Daher wird ab dem 1. Januar die Hilfe, die ein Betroffener für Wohnen, Kleidung, Essen und als „Taschengeld“ erhält, direkt an den Menschen mit Behinderung ausbezahlt. Dieser zahlt dann die Miete an seinen Vermieter; das kann auch die Einrichtung sein.

Diese größere Selbstbestimmung bedeutet zugleich mehr Verantwortung. Der Betroffene benötigt ein eigenes Konto und muss darauf achten, dass er seine Miete rechtzeitig zahlt. Das macht Betroffenen auch Angst. Und sie wünschen, dass sie üben können, mit eigenem Geld umzugehen.

Betroffene müssen Bescheide prüfen

Die persönliche Hilfe für den Betroffenen bleibt vorerst unverändert. Aber ab 2023 soll diese „Fachleistung“ noch besser auf die Bedürfnisse des einzelnen Menschen abgestimmt sein. Was der Einzelne benötigt, wird in einem eigenen Verfahren ermittelt. Dieses regelt jedes Bundesland anders.

Friedrich Reiser, Vorsitzender des Angehörigenbeirats von Regens Wagner Zell, rät Angehörigen und Betreuern, die Bescheide des für sie zuständigen Bezirks genau zu prüfen: „Eltern müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Sonst hat am Ende der Betroffene den Schaden.“ Allerdings beklagen manche Eltern, dass sie vom Bezirk noch gar nichts vorliegen haben. Andere wiederum sehen sich von Einrichtungen unter Druck gesetzt, die dem Betroffenen zustehenden Leistungen gleich an die Einrichtung abzutreten. Der Bezirk würde dann doch wieder direkt an die Einrichtung zahlen und nicht, wie das Gesetz es vorsieht, auf das Konto des Betroffenen. „Wer überprüft dann aber die Bescheide?“, wendet Reiser ein.

Leichte und Gebärden-Sprache öfter einsetzen

Die Wünsche und Fragen der Menschen mit Behinderung gingen bei der Veranstaltung durchaus ins Grundsätzliche: Sie vermissen Antragsformulare und Erläuterungen in Leichter Sprache. Sie fordern mehr Gebärdendolmetscher und schlagen vor, Gebärdensprache schon in den Schulen zu lehren. Sie fragen, ob die Bezirke auch die Kosten für eine persönliche Assistenz tragen für Freizeitaktivitäten – gerade Jugendlicher – oder dann, wenn ein Betroffener ehrenamtlich tätig sein will. Beschäftigte von Behindertenwerkstätten beklagen, dass sie kaum etwas hinzuverdienen dürfen und Gehaltserhöhungen von der Grundsicherung abgezogen werden.

„Das BTHG will etwas Gutes: Ihre Selbstbestimmung“, machte ihnen Michael Groß am Ende Mut. „Geben Sie nicht auf, wenn es jetzt schwierig wird! Nutzen Sie Ihre Rechte!“