„Kinder mit Förderbedarf werden in Oberfranken benachteiligt“

Frühförderstellen müssen um jede Behandlungseinheit kämpfen
„In allen anderen Bezirken können die Frühförderstellen mit der Verwaltung auf Augenhöhe sprechen, nur in Oberfranken werden wir zu Bittstellern degradiert, denen man mit generellem Misstrauen begegnet.“ So fasst Berthold Kellner, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirschenreuth, die Träger einer Frühförderstelle in Speichersdorf im Landkreis Bayreuth ist, die Situation zusammen.
Daher hatte der Sprecherkreis der Interdisziplinären Frühförderstellen Oberfranken Politiker der Bezirksebene zu einem Gedankenaustausch in die Frühförderstelle des Heilpädagogischen Zentrums der Caritas in Lichtenfels eingeladen. Es kamen etliche Kandidaten und eine Kandidatin für den Bezirkstag. Bereits im Gremium vertretene Abgeordnete ließen sich jedoch nicht blicken; die stärkste Fraktion, die der CSU, war gar nicht anwesend.
Frühförderung ist ein Angebot für Kinder bis zum Eintritt in die Grundschule. Sie richtet sich an Kinder mit einer Behinderung, von Behinderung bedrohte Kinder, verhaltensauffällige und entwicklungsverzögerte Kinder. Nicht wenige kommen aus schwierigen Familienverhältnissen. Die Frühförderstellen bieten aus einer Hand Sozial- und Heilpädagogik, Psychologie, Logopädie, Physio- und Ergotherapie. Die Mitarbeiter gehen auch zu den Kindern nach Hause oder in die Kindertagesstätte. Außerdem beraten sie diese Einrichtungen, wenn sie von Kindern mit Förderbedarf besucht werden. Den Förderbedarf muss eine Kinderarztpraxis diagnostizieren. Frühförderung für ihr Kind in Anspruch zu nehmen, ist für die Eltern freiwillig und kostenfrei. Die Finanzierung erfolgt durch den Bezirk und teilweise die Krankenkassen. Rund 2.500 Kinder nehmen in Oberfranken Frühförderung in Anspruch.
Frühförderung ist in Bayern durch einen Rahmenvertrag „gut einheitlich geregelt“, erläuterte Karlheinz Vollrath, Leiter der Frühförderung Sehen beim Blindeninstitut Oberfranken in Kulmbach. Es gebe aber Interpretationsspielräume „und damit haben wir in Oberfranken zu kämpfen.“ Der Rahmenvertrag lege bis zu 72 Behandlungen im Jahr als Standard fest. Oberfranken genehmige aber oft deutlich weniger. Vollrath: „Die Eltern verstehen das nicht. Warum werden in Oberfranken die Kinder schlechter behandelt als in anderen Bezirken?“
"Feilschen wie auf einem Basar"
Heidi Eschenbacher-Müller, Leiterin der Frühförderstelle in Lichtenfels, berichtete, dass schon die Antragstellung mühsamer ist als andernorts. Laut Rahmenvertrag genüge der Förder- und Behandlungsplan, der vom Kinderarzt und der Leitung der Frühförderstelle unterschrieben wird. In Oberfranken müssten zusätzliche Dokumente beigebracht werden, z.B. Tests und Gesprächsprotokolle. Bei Kindern von Geflüchteten sei dies oft gar nicht möglich.
„Die Krankenkassen stellen die Diagnose des Arztes nicht in Frage,“ ergänzte Bertin Abbenhues von der Katholischen Jugendfürsorge, die in Wunsiedel eine Frühförderstelle betreibt. „Aber der Bezirk Oberfranken tut das.“
Der Sozialmedizinische Fachdienst des Bezirks prüfe jeden einzelnen Antrag, so Eschenbacher-Müller. „Um jede einzelne Behandlungsstunde wird gefeilscht wie auf dem türkischen Basar.“ Dabei vermenge der Fachdienst des Bezirks bei Kindern, die eine Kindertageseinrichtung besuchen und Anspruch auf Frühförderung haben, noch die heilpädagogischen Leistungen der Frühförderung mit den Leistungen des integrativen Fachdienstes, die der Kindergarten in Anspruch nehmen kann – aus Sicht der Vertreter der Frühförderstellen im Widerspruch zum Rahmenvertrag.
„Wir erbringen ja nicht Behandlungseinheiten auf Teufel komm raus“, empörte sich Abbenhues. „Wenn wir nach 50 Stunden sehen, dass das Kind keine Förderung mehr benötigt, hören wir auf.“
"Bezirk misstraut Trägern"
„Der Bezirk unterstellt, die Träger würden sich bereichern“, kritisierte Dr. Benjamin Schmidt von der Caritas gGmbH St. Heinrich und Kunigunde, dem Träger des Heilpädagogischen Zentrums in Lichtenfels. Es werde ein riesiger Apparat mit Prüfungen beschäftigt, um Kleinstbeträge einzusparen. „Das ist volkswirtschaftlicher Unfug.“
Hier setzten dann Bezirkstagskandidaten an. Der Bezirkstag müsse von der Verwaltung eine genaue Gegenüberstellung von Aufwand und Einsparung verlangen, forderte Sven Bachmann von der FDP. Einen insgesamt engeren und vertrauensvollen Austausch zwischen Trägern und Bezirk verlangte Andreas Hügerich, 1. Bürgermeister von Lichtenfels und Kandidat der SPD. Susanne Bauer von den Grünen berichtete, dass Oberfranken auch in anderen sozialen Bereichen so knauserig sei. „Dafür hat Oberfranken dann die geringste Bezirksumlage.“ Diese müssen die Kommunen an den Bezirk abführen.
Josef Höpfner von den Linken erzählte, dass eine seiner Söhne vor 40 Jahren Frühförderung benötigt hätte, er habe sie aber nicht für ihn bekommen können und habe sie dann selbst organisiert. „Wir machen präventive Arbeit“, betonte Abbenhues. „Frühförderung verhindert in sehr vielen Fällen, dass Kinder auf die Förderschule gehen müssen. Dank einer früh ansetzenden und im Umfang angemessenen Förderung können sie die Regelschule besuchen.“