ALG II muss festen Betrag für Anschaffungen enthalten
Caritasdirektorin: Hartz IV lässt Klimaschutz und Homeschooling außer Acht
Bei der Pressekonferenz in Kronach zum Welttag der Armen kritisierte sie, dass der gegenwärtig zugrunde gelegte Warenkorb weder die Erfahrungen der Corona-Zeit noch das aktuelle Thema Klimaschutz berücksichtige. „Die Hartz IV-Sätze entsprechen nicht mehr der modernen Welt“, sagte Kundmüller.
Der Regelsatz des ALG II (Hartz IV) für einen Erwachsenen enthalte für „Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Gegenstände“ einen Betrag von 27,16 €. Eine Familie müsste also, rechnete Kundmüller vor, mehrere Monate lang sparen, um sich eine Waschmaschine oder einen Herd kaufen zu können. Dies sei jedoch unrealistisch, da Geräte meist unvorhergesehen ausfallen. Außerdem beziehe sich dieser Satz auf die gesamte Wohnungseinrichtung.
Der Regelsatz zwinge Familien mit geringen Einkommen möglichst billige Geräte anzuschaffen, die zumeist „Stromfresser“ seien. Es werde einem „angst und bange, wenn jetzt die Stromkosten steigen“, meinte Kundmüller. Klimaschutz sei sozialverträglich zu gestalten. Auch wer nur über ein geringes Einkommen verfüge, müsse sich einen energiesparenden Lebensstil leisten können.
Homeschooling belastet Familien auch finanziell
Ähnlich seien die Anforderungen, die Homeschooling auch finanziell an Familien stelle, im Regelsatz nicht abgebildet, bemängelte die Caritasdirektorin. Zwar enthalte der Satz für „Kommunikationsdienstleistungen, Flat-Rate, Festnetztelefonie und Internet“ 32,69 €. Für „Kauf oder Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefon sowie anderer Kommunikationsgeräte“ räume er einem Erwachsenen aber nur 2,46 € monatlich ein.
Zudem bemängelte Kundmüller, dass im Regelbedarf für Kinder und Jugendliche völlig unzureichende Beträge festgelegt seien: „Für Bildung insgesamt stehen dort 0-6jährigen monatlich 0,76 €, 6-14jährigen 0,55 € und 14-18jährigen ‚stolze‘ 0,23 € und im Elternhaus lebenden Volljährigen ganze 0,88 € zur Verfügung.“ Die Folge: Bundesweit haben laut einer Erhebung 24 Prozent der Kinder im Grundsicherungsbezug keinen Computer mit Internetanschluss im Haushalt.
Für Homeschooling sei ein Smartphone aber völlig unzureichend, stellte Kundmüller fest. Neben einem PC seien Drucker, Scanner und WLAN nahezu unabdingbar. Diese Situation treffe auch ALG II-Beziehende generell, ergänzte die Caritasdirektorin. Behörden und Sozialversicherungen setzten zunehmend voraus, dass die Bürger über internetfähige Hardware verfügten: „Die Agenturen für Arbeit, die Jobcenter, die Krankenkassen stellen ihre Angebote vermehrt digital zur Verfügung. Anträge auf Hartz IV sollen online gestellt werden.“ Andererseits müssten trotz aller Digitalisierung elektronisch ausgefüllte Anträge dann doch wieder ausgedruckt werden, weil etwa eine persönliche Unterschrift verlangt wird.
Kundmüller fordert daher, ALG II-Empfängern einen festen Betrag zuzubilligen, der für die einmalige An- und Wiederbeschaffung von Haushalts- und elektronischen Geräten ausreicht. Dieser Satz müsste so berechnet sein, dass er den Kauf energieeffizienter und hochwertiger Ware ermögliche.
Eine Umwandlung von „Hartz IV“ in ein „Bürgergeld“ dürfe nicht bloß verbale Kosmetik sein, mahnte die Caritasdirektorin. Sie rief eine künftige Bundesregierung dazu auf, für Bezieher staatlicher Transferleistungen substantielle Verbesserungen zu verwirklichen.
Waschen ist Würde
Im Anschluss an die Pressekonferenz stellte der Caritasverband für den Landkreis Kronach zwei Angebote vor, mit denen er die Auswirkungen der dargestellten Mängel des ALG II abmildern will:
Die Surfstation „Digital d@bei“ stellt den Klienten der Sozialen Beratungsstelle einen datensicheren Computerarbeitsplatz mit Internetzugang, Drucker und Scanner zur Verfügung. Das Beratungsteam steht den Nutzern auch bei der Bedienung zur Seite.
Nach dem Motto „Waschen ist Würde“ hat die Caritas Kronach eine „Waschküch‘“ für bedürftige Menschen eingerichtet, die selbst über keine Möglichkeit zum Wäschewaschen verfügen. Zusätzlich gibt es eine Gelegenheit zum Duschen.
Die Angebote sind räumlich in der Sozialen Beratungsstelle untergebracht, so dass diejenigen, die Surfstation oder Waschküche in Anspruch nehmen, umstandslos Kontakt zu den Beraterinnen und Beratern aufnehmen können.
Der von Papst Franziskus eingeführte Welttag der Armen wird am vorletzten Sonntag vor dem 1. Advent begangen. In diesem Jahr hat der Papst ihn unter das Motto gestellt: „Die Armen habt ihr immer bei euch“.