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Offener Brief von Sara Nikzad:„Ein Schmerz, den ich nicht in Worte fassen kann“

Sara Nikzad
Sara Nikzad ist 24 Jahre alt. 2022 ist sie vor den Taliban aus Afghanistan geflohen. Ihr Ziel: die Bundesrepublik Deutschland. Als Reaktion auf die jüngsten Terroranschläge in Deutschland hat Sie einen offenen Brief verfasst.
Datum:
Veröffentlicht: 27.2.25
Von:
Enno-Jochen Zerbes

Der offene Brief erreichte den Caritasverband für die Erzdiözese Bamberg (DICV) über die Geflüchteten- und Integrationsberatung in Ansbach.

„Die emotionalen Worte haben mich tief berührt“

Michael Endres, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes Bamberg, äußerte sich wie folgt zu dem Brief:

„Die emotionalen Worte, die Fr. Nikzad in ihrem offenen Brief zu Papier gebracht hat, haben mich tief berührt. Aus ihnen sprechen Mitgefühl für die Opfer sowie deren Angehörige, Verzweiflung, aber auch die Angst eines jungen Menschen, die wir als demokratische Gemeinschaft und als Rechtsstaat ebenso wenig hinnehmen können, wie den jüngsten Terror und die Horrortaten einiger Weniger, denen unschuldige Menschen zum Opfer fielen. Wie viele andere warne auch ich davor, diese unvorstellbar grausamen Akte des Terrors zu instrumentalisieren. Fremdenhass zu schüren, stand diesem Land und seiner Geschichte noch nie gut zu Gesicht.“

Aus den Worten von Sara Nikzad spricht eine tief empfundene Scham, die Sie mit ihren eignen Worten wie folgt beschreibt.

 

Der offene Brief von Sara Nikzad: 

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Worte bleiben mir im Hals stecken, während meine Gedanken sich in einem Netz aus tief empfundener Trauer für die Angehörigen und den Verlust ihrer Lieben, aber auch aus Schmerz, Scham und Verzweiflung verfangen. Die grausamen, unvorstellbaren Verbrechen, die von Afghanen an unschuldigen Menschen begangen wurden, brechen mir das Herz.

Ich spüre eine Last auf meinen Schultern, die mich niederdrückt, mich zwingen will, den Kopf zu senken. Doch es ist nicht nur das Mitgefühl für die Angehörigen und die Trauer, die ich fühle, sondern auch die Angst vor dem, was diese grausamen Anschläge mit der Wahrnehmung der Menschen in Deutschland machen. Ich frage mich, ob diese Verbrechen als Einzelfälle gesehen werden oder ob sie Teil eines größeren Narrativs sind – eines, das das Bild von Migrantinnen und Migranten verzerrt, das Misstrauen sät, das Türen schließt, bevor sie sich überhaupt öffnen können.

Ich frage mich, ob für Afghaninnen und Afghanen in diesem Land noch Platz sein wird – nicht nur in Universitäten oder auf dem Arbeitsmarkt, sondern in den Herzen der Menschen. Wird ein Moment kommen, in dem wir nicht mehr als Individuen, sondern als Gefahr betrachtet werden? Eine Vorstellung, die mich bis ins Mark erschüttert.

Ich schäme mich – nicht, weil ich selbst schuldig bin, sondern weil ich auf diesem Boden gehe, unter diesem Himmel atme, und gleichzeitig spüre, wie sich die Blicke verändern, wie sich Misstrauen in den Gesichtern spiegelt. Es zerreißt mich, denn ich weiß, dass die große Mehrheit der Menschen aus Afghanistan anders ist, dass sie Gutes tun, dass sie hoffen, dass sie sich bemühen, Brücken zu bauen, wo andere Gräben aufreißen.

Wie kann ich mich von einer Schuld befreien, die nicht meine ist, die ich aber doch auf meinen Schultern trage? Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass dieser Schmerz mich verändert, dass er mich wachhält, dass er mich an mir selbst zweifeln lässt.

Und dennoch bleibt da eine Hoffnung – dass uns eines Tages nicht die Taten Einzelner als Afghaninnen und Afghanen definieren, sondern die Menschlichkeit, die wir in uns tragen. Deshalb wünschte ich mir so sehr, dass diese Worte gehört und gelesen werden, dass sie nicht nur auf dem Papier oder in meinem Herzen bleiben, sondern in die Welt hinausgehen, sich ihren eigenen Weg bahnen, bis sie vielleicht irgendwo auf offene Ohren und offene Herzen treffen.

Ich wollte, ich musste meinen Gedanken eine Stimme geben – nicht laut, nicht kämpferisch, sondern so, wie mein Herz sie mir eingibt: ehrlich, unverfälscht. Vielleicht wird sie ungehört verhallen, vielleicht wird sie ignoriert. Aber vielleicht – und nur vielleicht – wird sie irgendwo einen Funken auslösen, der zu einem Licht erwächst, das nie erlischt.

 

Sara Nikzad

 

Über Sara Nikzad

  • 24 Jahre
  • Abitur mit 16; Schülersprecherin
  • Universität von Herat: Studium der Humanmedizin, 10 Semester, danach
    Studienabbruch wegen Machtübernahme der Taliban
  • 2022, nach der Machtübernahme der Taliban, Flucht mit Familie nach Deutschland
  • FSJ
  • Deutsche Sprachkenntnisse auf C1-Niveau

 

Sara Nikzad steht interessierten Medien gerne für ein Interview zur Verfügung. Anfragen bitte per E-Mail an

Enno-Jochen Zerbes